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Leseprobe für das Buch Sirie
Die Geschichte eines Mauerseglers
von Anton Vogel:

Stimmen des Sommerhimmels

Mein Blick wandert an Baum und Schlossfassade hinauf ins abendliche Blau. Über der aromatisch duftenden Linde steigt und sinkt der Tanz kleiner Schwirrinsekten. Die Wimmelbewegung täuscht die einstige Fülle vor, die immer mehr schwindet und Leere in der Luft zurücklässt wie in einem Meer ohne Plankton.
In Höhe der beiden mittleren Fensterreihen verliert sich der Insektenreigen im Ozean der Atmosphäre. Noch scheint das Nahrungsangebot an kleinen Fliegern auszureichen, um das abendliche Schauspiel im Gang zu halten, das sich über die vom Sommertag durchglühte Stadt senkt. Durch die Fülle seidigen Blaus vergießen sie die scharfe und durchdringende Kraft ihrer Stimmen: Mauersegler.
Ihre schrillen Schreie erklingen hoch oben in der Himmelskuppel. Mehrere der schlanken schwarzen Flieger rücken in einem langgezogenen Trupp zusammen. Kurz verschmelzen die Rufe zu einem einzigen vibrierenden Ton, aus dem die Stimmen wieder einzeln hervorbrechen, als sich die enge Formation in auseinander strebenden Kreisen und Kurven auflöst. Die schnittigen Körper sitzen zwischen den langen Sicheln der Flügel, Mittelpunkt und Aufhängung eines Bogens, in dem eine immerwährende Energie zittert wie ein trommelnder Herzschlag. Erneut sausen mehrere von ihnen, ein dichter Pulk, über die Zinnen, Erker und rot geschuppten Ziegelschrägen des Schlosses hinweg. Einige lösen sich aus der Schar, streichen um einen Flügelschlag langsamer als die Mitglieder des verbleibenden Pulks an den Nistkästen vorbei, die hilfsbereite, engagierte Menschen für sie angebracht haben. Von außen unsichtbar sitzen die künstlichen Höhlen hinter dem schwarz-weißen Fischgrätmuster der Fensterläden, die sich in mehreren Stockwerken über dem Gemäldefries des Fürstenzuges nebeneinander reihen. Eine luftige Sommerstadt der Vögel ist dieses Dächergebirge, umbraust von ihrem lautstarken, turbulenten Stoßverkehr.
Kurze Pause, Stille, Atemholen, als der Trupp über die angrenzenden Dächer davongestoben ist. Menschliche Stimmen übernehmen vollständig die Geräuschkulisse auf dem Schlosshof: Ein moduliertes Zitat bricht sich klangvoll an den Wänden und auf dem buckligen Pflaster, das die Linde mit dem leise plätschernden Brunnen umgibt. Auf der Tribüne unter dem hölzernen Treppenaufgang probt eine Theatergruppe Der Bürger als Edelmann von Molière. Ort der Aufführung wird der Innenhof des Schlosses sein. Da schießen erneut mit lautem Geschrei die Mauersegler heran.
Aus den Kästen erschallt Antwort, sodass die Stimmen der fliegenden wie der im Nest sitzenden Vögel sich in einer ohrenbetäubenden Lärmkaskade überschlagen. Zwei der lebenden Geschosse bremsen kurz vor einer Öffnung geringfügig ihren Flug und drehen ihre kurzen, aber scharfkralligen Füße dem Einflugloch des Kastens zu. Was haben sie einander mitzuteilen? Was drückt es aus, dieses sägende Sriee-rieee, zu vielstimmigen Disputen vereint? Was ändert sich an der Botschaft, wenn der langgedehnte Ton zu einer Folge kurzer, stotternder Triller abbricht?
Was würden wir hören, wenn wir ihre Sprache verstehen könnten ...


Lebensrivalen und Lausfliegen

„Wer ist da?“
„Ich bin es, liebe Lijis. Psirr, der Vater unserer Küken.“
Sirie hob das Köpfchen, schüttelte die Reste ihres Schlummers ab. Wenn sie den Wortwechsel ihrer Eltern hörte, wenn Mutter oder Vater ihre wärmenden Körper über ihr anhoben und zur Seite drehten, weckte das stets die ungestüme Hoffnung auf Futter. Noch höher reckte Sirie ihren Hals, öffnete piepsend den Rachen und stützte ihren Stummelflügel auf den anderen kleinen, nackten Körper, an dessen Wärme sie sich eben noch wohlig geschmiegt hatte. Mori, ihr Brüderchen, gierte nach derselben Nahrung, und sie musste unbedingt vor ihm an der Futterquelle hängen.
Wo blieben die Eltern nur? Wann beugte sich Psirr oder Lijis über sie, damit ihr Schnabel nicht länger ins Leere schnappte? Hunger! Das drängende Gefühl ließ ihr wimmerndes Piepsen stärker anschwellen. Was mussten die beiden da bereden, wenn sie, Sirie, vor Ungeduld verging? Nicht einmal Wärme spendeten sie ihr noch! Moris Köpfchen balancierte neben ihrem in der Luft. Unwillig stemmte sie sich mit Beinen und Flügeln in eine halbe Drehung, um von dem Geschwister wegzurutschen, das in diesem Moment zum Rivalen um das Leben wurde.
Ein noch tieferes Dunkel als das der Umgebung fiel auf ihre dünnen, miteinander verwachsenen Lidhäute, und die Augen darunter richteten sich auf die schattenhaft erfasste Bewegung. Einen Herzschlag später füllte die Federmasse von Vaters Gesicht ihren Schnabel bis in den oberen Bereich des Mundbodens. Zuerst rann ein wohlschmeckender Speicheltropfen über ihre Zunge, dann folgte ein Klumpen warmen Insektenbreis. In vorsichtigen kleinen Happen träufelte Psirr ihr die im Kehlsack mitgebrachte Nahrung ein. Sirie begann zu schlucken, ihr Heißhunger loderte noch stärker auf, sie wollte ihren Rachen förmlich über den Fluss des Futters stülpen, und wenn sie den Vater mit in sich hineinsaugte. Aber so behutsam wie unerbittlich nestelte Psirr sein Vorgesicht aus dem Zugriff ihres Schnabels frei. Neben ihr verstummte Moris Piepsen, beruhigt von der Fütterung, die zu ihm weitergewandert war.
Sirie grub ihre winzigen, aber schon recht kräftigen Klauen in den Grund der Nestmulde, einen Zwirbel speichelverklebter Halme und Federchen. Indem sie sich festhielt, fiel es ihr leichter, den Kopf so anzuheben, dass der Insektenklumpen vollends in ihren Magen rutschen konnte. Das so lustvolle wie bittere Gefühl des Hungers pulste noch immer in ihr, vor allem aber war es Moris Fütterung, die den Drang zu betteln wachhielt. Sie durfte nichts versäumen und nicht benachteiligt werden!
Voll energischem Eifer zupfte sie piepsend an den Federn ihrer Mutter, die sie wieder umhüllten. Es gab keine neue Futterportion, so sehr sie sich abmühte und die gleiche zappelig-piepsige Hektik noch einmal bei Mori auslöste. Lijis wiegte sich im Wärmesitz zurecht, und Sirie begann sich zu beruhigen, als ihr nackter Körper mit der Hautblöße des mütterlichen Bauchs verschmolz. Fettige Feuchtigkeit legte sich auf ihren Leib. Pochende Blutwärme erfüllte sie, und sie sank in behagliches Dösen. In diese Ruhe klangen wie von fern die Stimmen der Eltern.
„Soll ich die Kleinen übernehmen, Lijis?“
„Gerne später, lieber Gefährte. Ich bleibe noch eine Weile und hudere sie. Aber wenn du das nächste Mal zurückkommst, wird mich der Hunger wieder hinaustreiben.“
Ein leiser werdendes Rascheln verriet, dass der Vater sich vom Nest entfernte. Das hatte Sirie schon zu unterscheiden gelernt. Sie schmiegte sich an ihren Bruder, legte das Köpfchen neben seines und war nur noch zufrieden vor sich hindämmerndes Leben, gewiegt vom gemeinsamen Atemrhythmus. Undeutlich nahm sie eine Bewegung an ihrem Rücken wahr. Etwas tastete gewichtslos über ihre Haut. Sie zog die Flügelarme enger an sich, zuckte leicht und lag wieder still.

„Sirie.“
Mit der Ruhe war es vorbei.
„Sirie, halt doch mal still.“
Mutter schob das Kinn unter sie, rollte sie auf den Rücken und betastete sie mit dem Schnabel.
„So, das hätten wir. Diese Lausfliege wird dich nicht mehr plagen und kein Seglerblut mehr trinken.“
Vielleicht war das eines der Krabbelwesen, die manchmal über ihren Körper liefen. Bisweilen trieben sie ihr brennende Stiche durch die Haut, gewöhnlich verursachten sie nichts Unangenehmeres als ein leichtes Kitzeln. Lausfliegen … Sie tastete mit dem Kopf umher und versuchte, die wärmende Fürsorge der Mutter