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Leseprobe für das Buch Leben ist immer anders
Erzählungen
von Hildegard Brucker:

"Leben ist immer anders"

Hildegund geht langsam voran und wirft einen Blick auf das bunt sortierte Allerlei. Neben grellem Kitsch fristen in friedlicher Koexistenz altertümliche Raritäten ihr Dasein auf den Tischen. Ohne Interesse daran schlendert Hildegund zwischen den Ständen weiter. Zumindest sind ihre Gedanken etwas abgelenkt und auch die Wolkendecke tut sich auf und zeigt milchigblau schimmernde Himmelslöcher.

Am Ende des Stadtparks bleibt Hildegund an einem der letzten Stände stehen. Eine Puppe hat ihre Aufmerksamkeit erweckt. Die Puppe sieht aus, als stamme sie aus der Zeit, in der sie selber noch mit Puppen spielte, - vor gut und gerne fünfzig Jahren. Sie sitzt, an ein wackliges Nähkörbchen gelehnt, zwischen Wollknäueln, Bilderbüchern, gehäkelten Deckchen und einem rostigen Bügeleisen. Der Keramikkopf zeigt ein allerliebstes Puppengesicht. Die Rosenbäckchen sind etwas abgeblättert, während den dunkelbraunen Glasaugen die Jahrzehnte nichts anhaben konnten. Das brünette Haar, zu zwei kurzen Zöpfen geflochten, sieht etwas struppig-verwildert aus. Die Puppe trägt ein blau weiß kariertes Hängerkleidchen, das unterhalb der Knie endet, über einem weich ausgestopften Leib. Ihre Keramikfüße stecken in verfärbten Lederschuhchen. Die Hände sind ausgestreckt, als wollten sie sogleich eine liebevolle Puppenmutter umarmen.
Hildegund steht schon eine ganze Weile da und schaut die Puppe an. Irgendetwas tief in ihr hat ein Signal ausgelöst, eine kleine Melodie, eine Zuwendung, die sie sich nicht erklären kann. Sie überlässt sich diesem Anklingen, bis sie bemerkt, dass sie von der Frau hinter dem Stand angesprochen wird: "Gefällt Ihnen die Puppe?", fragt diese, Hildegund aufmerksam betrachtend.
"Sehr", antwortet Hildegund, den Blick der Frau erwidernd, die zu einer Mitteilung ansetzt: "... aber leider ist sie...", dabei aber unterbrochen wird von Hildegunds schneller Frage: "Hat die Puppe einen Namen?" - "Oh ja", antwortet die Frau hinter dem Stand, "sie heißt Hildegund." Die überraschte Namensschwester fährt zusammen, als hätte sie ein Blitzstrahl getroffen. Fast ungläubig wiederholt sie: "Hildegund?" - "Genau", bestätigt die Frau und forscht intensiv in Hildegunds Gesicht, worauf sich für einige Sekunden betretenes Schweigen einstellt, dem die Puppe Hildegund ihr unvergängliches, kleines Lächeln entgegensetzt. Die entstandene Lähmung zu überwinden, nimmt einige Minuten in Anspruch. Die Frau hinter dem Stand hatte bemerkt, dass sich in der potentiellen Käuferin etwas Bewegendes abspielte. Mit feinem Gespür suchte sie die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen. Nach einigen belanglosen Sätzen beginnt sie, dieser Fremden die Geschichte der Puppe Hildegund zu erzählen. Nie zuvor hatte sie eine aufmerksamere Zuhörerin:

"Es war im Jahr 1942, als ich mit meinen Eltern und Geschwistern nach einer abenteuerlichen Reise aus Deutschlands Ostgebieten in das Dorf Maibronn kam, wo ich noch im selben Jahr eingeschult wurde. Unser Neuanfang gestaltete sich schwierig in diesen Zeiten des Krieges. Wir Kinder mussten uns bescheiden und mit Wenigem begnügen. Mein größter Schatz und meine innigste Freude dazumal war meine Puppe. Ich hütete sie wie einen Augapfel und schirmte sie vor allen Übergriffen seitens meiner Geschwister ab. Sie war mir so lieb, dass ich lange Zeit keinen passenden Namen für sie finden konnte, weshalb sie vorübergehend einfach ‚Püppie’ hieß.
Da ergab es sich, dass ich eines Tages im Schulhof unserer Dorfschule ein kleines Mädchen sah. Es war neu eingeschult worden, während ich bereits die zweite Klasse besuchte. Heute kann ich nicht mehr sagen, was mir an diesem Mädchen so besonders gefallen hatte: War es seine Art, sein Wesen, sein Aussehen? Vielleicht alles zusammen. Aber eines ist geblieben in meiner Erinnerung, und sogar in der Realität: Ab da gab ich meiner Puppe den Namen des Mädchens. Das Kind hieß Hildegund. Hier sitzt sie, meine Lieblingspuppe Hildegund, benannt nach diesem kleinen Mädchen aus Maibronn."

Hildegund wurden bei dieser Erzählung fast die Knie weich. Atemlos fragte sie: "Und das Mädchen selber, sind Sie mit ihm nicht in Kontakt gekommen?" - "Nein, leider nicht", antwortet die Frau hinter dem Stand, "Erst war ich zu scheu, um das Mädchen anzusprechen, und ein halbes Jahr später hieß es für unsere Familie bereits wieder wegziehen. Mein Vater wurde als Beamter an eine andere Arbeitsstelle versetzt."
Hildegund sieht der Frau aufmerksam ins Gesicht, dann fragt sie: "Kann es sein, dass Sie Brigitte heißen?"
Jetzt war die Verblüffung auf Seiten der Frau mit der Puppe. Sie sagt: "Das stimmt. Woher wissen Sie das?"
Hildegund schluckt. Soll sie sich offenbaren? Nein, lieber nicht. Stattdessen wendet sie sich wieder der Puppe zu: "Ich möchte sie sehr, sehr gerne kaufen. Ich zahle Ihnen jeden Preis." -
"Tut mir leid", antwortete die Frau, die Brigitte hieß, "ich wollte Ihnen gleich zu Anfang sagen, dass die Puppe nur als Blickfang und zur Dekoration dasitzt und nicht verkäuflich ist."
Wieder entsteht eine lange Pause. In Hildegund sind ganze Orchester erwacht, Melodien, die wie Ströme alles Negative mit sich rissen, das sich in ihrer Seele eingenistet hatte. Und wie aus der Ferne hörte sie die erneut gestellte Frage: "Woher wissen Sie, dass ich Brigitte heiße?" - "Weil ich", sagt Hildegund jetzt und sieht ihrem Gegenüber forschend in die Augen, "die Namensgeberin Ihrer Puppe bin."

Aus dieser späten Begegnung wurde bald eine lebenslange, wunderbare Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Puppe Hildegund bekam einen Ehrenplatz als Dritte im Bunde.