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Leseprobe für das Buch Warten auf Lohengrin
Ein Leben zwischen Ötlingen und Dresden
von Bianca Schlosser:

In Ötlingen geht alles seinen gewohnten Gang. Die Tage sind mit Arbeit angefüllt und ich habe keine Zeit, mir Gedanken zu machen, was in der Welt geschieht.
Früh am Morgen stehe ich an der Zentrifuge, die ich auch bedienen kann, und mache Butter aus der Milch unserer fünf Kühe, die im Stall neben der Wagnerei stehen. Es sind gute Milchkühe, die viel Milch geben.
Die Linda ist von allen die Beste. Ich denke immer wieder gerne daran, wie sie im letzten Jahr prämiert wurde und später, im Oktober beim Erntedankfest, als sie reich mit bunten Bändern und Blumen geschmückt den Umzug anführen durfte. Da war ich mächtig stolz!

Zu den Hühnern muss ich täglich, um Futter auszustreuen und die Eier einzusammeln. Auf der anderen Straßenseite, etwas abseits der Kirche, steht unser Hühnerstall auf einem kleinen umzäunten Grundstück, wo die Hühner ihren Auslauf haben. Dorthin trage ich eine Schüssel aus Emaille mit Getreide-Körnern.
Bald ist schon Mittag. Ich sollte jetzt in den Keller gehen und kühlen Most aus dem Fass in die Kanne füllen, der in den Korb zum Brot kommt. Es ist höchste Zeit, dass ich mich auf den Weg mache und den Korb aufs Feld bringe, damit sich die Eltern und ihre Helfer in der kurzen Pause etwas stärken können.
Ich bin ja schon froh, wenn ich das Vesper bringen darf und nicht zur Heuernte eingesetzt werde. Lieber mache ich feinere Arbeiten, wie Nähen oder Blumen-pflanzen, oder natürlich Singen im Kirchenchor. Musik ist überhaupt das Schönste, was es auf der Welt gibt!
Wenn ich daran denke, dass ich meinen Eltern als ihr einziges Kind keine große Hilfe sein kann, überkommen mich schon manchmal Gewissensbisse. Weil ich außer meinem krummen Rücken auch noch einen Herzfehler habe, werde ich schnell kurzatmig; nur will das keiner wirklich zur Kenntnis nehmen. So gut es geht, muss ich bei der Feldarbeit halt auch oft mitarbeiten. Wenigstens hilft uns Lies, die Schnitterin, jeden Sommer bei der Heuernte.
Am Abend zieht der Ochse vom Riedlinger Bauer den hoch beladenen Wagen zu unserem Heubarn hinterm Kuhstall. Ganz oben sitzen die Mutter und die Lies zwischen den Heugabeln, deren Stiele in die Luft ragen. Vater geht neben dem Ochsen und treibt ihn mit einem Ast an.
Mit den Gabeln laden sie anschließend das Heu ab und schichten es locker auf, damit es als Winterfutter für die Kühe trocken bleibt.
...

Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Die Rote Armee treibt die Bewohner aus den besetzten Gebieten vor sich her.
Eine Frau, die sich kurz auf dem Bauernhof aufhält, erzählt, dass die Russen bei ihrer Ankunft auf dem Rittergut, wo wir zuvor Unterschlupf fanden, alles kurz und klein geschlagen haben. Aus den wunderbaren, schweren, alten Möbeln bauten sie sich eine Bühne, um darauf zu tanzen.
Russland war bekannt durch seine besonders hochstehende Kultur. Doch in die endlose Weite Sibiriens scheint sie nicht vorgedrungen zu sein.
Die Soldaten wurden in erster Linie von dort rekrutiert. Mit einer Waffe in der Hand fühlen sie sich übermächtig und gebärden sich wie eine Horde wilder Tiere. Alles, was ihnen wertvoll erscheint, wird gestohlen. Vieles ist für sie neu und unbekannt. Uhren, Besteck, mechanische Geräte und natürlich Schmuck - was glänzt und sich bewegt, erweckt ihr Interesse.

Immer wieder ermahne ich Gerda, ihre goldene Armbanduhr abzulegen, aber auf mich will sie einfach nicht hören. Es ist viel zu gefährlich, Schmuck zu tragen.
Man erzählt sich die grausamsten Dinge von Vergewaltigung und Mord, wenn eine Frau in die Hände der russischen Soldaten fällt. Mit ihrer Unvorsichtigkeit riskiert sie Kopf und Kragen.
'Wir sind hier sicher. Die Gegend ist doch von den Amerikanern besetzt. Warum sollte ich also meine Uhr hergeben?', trotzt Gerda schon wieder. Ich kann nur hoffen, dass sie recht behält.
Doch über Nacht schlagen sich die Russen durch und die Amerikaner ziehen sich unbemerkt zurück.
Vorerst halten wir uns in unseren Häusern auf und beobachten die neuen Besatzer vorsichtig. Sie fühlen sich als die Mächtigen im Land und schießen zu unserer Einschüchterung wild durch die Luft. Es wird kein Hehl daraus gemacht, dass sie großes Interesse an Uhren besitzen. Stolz tragen sie ihre Beute hoch bis zu den Ellbogen.
Plötzlich fängt bei einem Soldat ein Wecker an zu klingeln, den er sich in die Tasche gesteckt hat. Völlig irritiert und ratlos, wie er diesen lauten, bedrohlichen Ton abstellen kann, wirft er den Wecker weit von sich auf die Straße und bringt ihn mit einer ganzen Salve von Schüssen zum Schweigen.

Unter der russischen Besatzung wird unser Alltag stark eingeschränkt. Wir haben nur noch zu bestimmten Zeiten die Erlaubnis im Dorf Besorgungen zu machen. Ansonsten haben wir uns in unseren Häusern aufzuhalten. So sind die Straßen besser zu bewachen.
Vormittags von zehn bis zwölf Uhr darf eingekauft werden. Ich schicke Gerda und Helga mit den Lebensmittel-Marken in den Laden im Dorf, mit dem Auftrag, alles mitzubringen, was angeboten wird und wie viel sie für die Marken bekommen, egal ob Mehl, Zucker oder Butter.
Ganz verstört und außer Atem kommen die beiden aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück und ins Zimmer gestürmt.
'Was ist passiert? Ihr seht ja total verängstigt aus!'
'Plötzlich standen wir vor einer Gruppe Russen!', sprudelt es aus Gerda nur so heraus und sie zittert dabei vor Aufregung. 'Helga schreit: ‚Schmeiß’ deine Uhr weg, die bringen uns um!’ Sofort sind wir davongerannt und ich habe sie weit weg von mir in einen Garten geworfen. Vor Angst haben wir an die Türen der umliegenden Häuser gepocht, aber niemand wollte uns einlassen. Alle fürchteten sich davor, wir würden von den Soldaten verfolgt.
Anscheinend waren die aber so sehr abgelenkt, während sie den Garten auf der Suche nach der Uhr umgraben, dass sie fliehen konnten. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen.
'Lieber Gott sei Dank! Immer habe ich dich gewarnt: Zieh deine Uhr aus!'
Noch bin ich mir unsicher, welches Gefühl überwiegt, der Ärger über ihren Ungehorsam, oder die Erleichterung, dass ihnen nichts passiert ist.
Nach diesem Vorfall ist Otto der Ansicht, wir müssen so schnell wie möglich nach Hof über die grüne Grenze zwischen Sachsen und Bayern zum Hauptzollamt, da wir hier auf keinen Fall mehr sicher sind und er trifft unverzüglich Vorkehrungen für unsere Weiterreise.
'Wo hast du bloß wieder diesen Handwagen aufgetrieben? Der sieht ja schon ziemlich ramponiert aus', wundere ich mich.
'Die Bäuerin hat mich mit Butter entlohnt und dafür habe ich den Wagen eingetauscht. Das Wenige, was er zu befördern hat, hält er garantiert noch aus.'

Vier oder fünf Wochen, das Zeitgefühl kommt mir allmählich völlig abhanden, haben wir auf dem Gutshof verbracht. Der Abschied fällt uns nicht leicht, da wir in dieser Zeit beinahe wie eine Familie zusammengewachsen sind. Für die bevorstehende Reise bekommen wir viele Vorräte eingepackt. Hauptsächlich ist dies Gerdas Verdienst, sie hat sich mit ihrer Näherei die ganz besondere Zuneigung der Frauen erworben.
Ich bete und hoffe für sie, dass sie von den Soldaten nichts zu befürchten haben.
Überall gibt es Kontrollen und niemand darf sich unerlaubt entfernen, deshalb machen wir uns heimlich bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg. Wir müssen dabei sehr vorsichtig und leise vorgehen, es ist gefährlich nachts auf der Straße. Die Russen sind unberechenbar, sie schießen auf alles, was sich bewegt.
Aber ringsum ist es ruhig, und wir kommen ungehindert zum Bahnhof. Dort steht ein Zug mit offenen Waggons.
Wir haben Glück und finden einen, der völlig leer ist. Wir Frauen klettern mit Ottos Hilfe hoch und ziehen mit vereinten Kräften das Gepäck nach, samt dem Handwagen.
Es ist ein schweres Stück Arbeit und dabei dürfen wir keinen Lärm machen, um nicht entdeckt zu werden. Endlich sitzen wir völlig übermüdet im Schutz des Waggons. Sobald der Zug sich in Bewegung setzt, schlafen wir auch sofort ein.
Mit einem Ruck bleibt er plötzlich stehen. Alle sind wir gleichzeitig wach und sehen uns vorsichtig um.
'Wo sind wir hier gelandet?', frage ich noch etwas benommen.
Otto äußert sich betreten: 'Das will ich lieber gar nicht sagen.'
Gerda hat schnell begriffen: 'Oh nein, der Zug hat nur auf dem Bahnhof rangiert!'
Es ist so entmutigend nach der Anstrengung, die wir durch das Aufsteigen und Aufladen hatten.
Otto gibt nicht so schnell auf. Es muss doch eine Möglichkeit geben, um hier wegzukommen! Wir steigen sofort wieder aus. Auf dem übernächsten Gleis steht noch ein Zug, vielleicht fährt der weiter.