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Leseprobe für das Buch Clara und ihre Logik von Jürgen Köhler-Grundmann, Koehler:

'Ach nee, nich schon wieder', erschreckt Clara, ‚enden solche Vorschriften denn niemals? Ich hab doch nur meine Meinung gesagt, und gleich wird geschimpft mit mir. Was soll nur werden?‘
Obwohl Clara wahrnimmt, es wird weiter auf sie eingeredet, hört sie nichts; sie steht inmitten ihrer Verwandtschaft und fühlt sich dennoch allein: ‚Nein, wirklich nicht. Keineswegs will ich weit weg von hier‘, erwägt sie, ‚aber ich muss.‘
Clara, vor einem halben Jahr dreizehn Jahre alt geworden, steht nachdenklich, aber auch wütend am langen Tisch, um den sich eine große Familienrunde versammelt hat. Die plauderte anfangs lebhaft durcheinander, und Clara fühlte sich eingeladen, einige kecke Sprüche beizusteuern. Doch allmählich war die Unterhaltung in eine Debatte übergegangen, in der über allerlei Ansichten gestritten wurde. Nichts für Kinder, war Clara bedeutet worden. Du störst, zieh dich zurück, vernahm sie, als sie den Satz: „Ich lass mir von euch nicht mehr sagen, wie ich mein Leben gestalten möchte“, eingeworfen hatte.
Jetzt steht sie noch immer neben ihrem Stuhl und grübelt: ‚Ermahnungen und Vorwürfe ohne Zahl und ohne Ende höre ich. Kaum sage ich ein Wort, heißt es gleich: Davon verstehst du doch gar nichts, du vorlautes Besserwissermädchen. Wie ich solche blöden Behauptungen hasse. Also, es ist Zeit, ich muss weg. Ein Eiscafé am Südpol werde ich eröffnen – jeden Morgen Fähnchen raus und dann Ruhe. In Eis und Einsamkeit wird mir niemand vorschreiben, was ich denken darf und wie ich meine Geschäfte zu führen habe. Weder Reinreden noch Verbieten, kein überlegenes, alles wissendes Grinsen und Gerede und Getue mehr, nur noch ich … und in der Antarktis werde ich dann geworden sein, wie ich es ganz allein möchte.‘
'Schluss jetzt, Clara, es reicht. Bitte zieh dich zurück. Oder in Kindersprache: Hau einfach ab.'
Das runde Gesicht des laut angesprochenen, kräftig gebauten Mädchens wird düster und scheint sich zu verkleinern. Falten ziehen auf und von den Lippen wird eine winzige, saure Knorpelkirsche geformt. Die familiäre Gesprächsrunde, aus der Clara gerade verbannt wird, verstummt allmählich. Hier und da unterstützt beifälliges Nicken die Forderung an die Tochter des Hauses; andererseits suchen ein paar unsichere Blicke verlegen nach einem hübschen Gegenstand im Raum, um sich unbeteiligt geben zu können. Widerstrebend und trotzig bewegt sich Clara. Sie schließt die Augen, zieht die Schultern ein und senkt den Kopf. ‚Ihr seid so gemein, so ungerecht, so böse‘, möchte sie schreien, doch ihr Protest bleibt stumm. Mit heiserer Stimme, kaum vernehmbar, presst Clara im Zurückweichen lediglich heraus: „Es fehlt nur noch, dass du mich mit einer Schippe zum Spielen in den Buddelsand schickst. Ich wollte lediglich …“
Doch ihr Papa unterbricht sie energisch, unterstützt seine Forderung mit einer gebieterischen Geste, zeigt unmissverständlich zur Tür und fühlt sich zu keinem Kompromiss bereit: „Ach Clara, jeden Satz musst du verändern, alles willst du besser wissen, stets hast du ein Aberwort und einen Widerspruch. Deine Rechthaberei ist schwer zu ertragen. Geh endlich, bitte, du nervst. Mach irgendwas. Dressiere die Raupen im Apfelbaum. Und warum nicht, geh meinetwegen zum Sandkasten und zähl die Körnchen. Erkläre dem Bäcker, wie Pfannkuchen ideal rund werden … Du wirst dir schon irgendwie die Zeit vertreiben, da bin ich mir sicher.“

23.
In den Straßen der Stadt spenden die wenigen Laternen diffuses Licht. Das wird von Schneekristallen gestreut, und Clara kann in mäßiger Helligkeit sicher nach Hause laufen. Menschen begegnet sie nicht. Der Abend nähert sich bereits der Mitternachtsstunde, die Uhr über dem Geschäft „Zahl und Zeiger“ mahnt unerbittlich. ‚Es ist spät, dieser Tag möchte sich schlafen legen.‘ Für einige Sekunden verharrt Clara vor dem Schaufenster, denkt erschrocken: ‚Das kann doch gar nicht sein! Ich muss schnellstens nach Hause!‘ Es gab ein kurzes Gespräch mit Tempa, danach einen halben Stolpertanz, mehr war gewiss nicht. Noch schneller als zuvor rennt Clara, stark angetrieben von einem einzigen Gedanken: ‚Das gibt großen Ärger!‘ Nach wenigen Minuten befindet sie sich vor dem Eingang zu ihrem Haus. Die Fenster der Knobloch-Wohnung sind hell erleuchtet, alles sonst im Gebäude wirkt düster und dunkel.
Unentschlossen steht Clara vor der Klingel. - Sie muss da jetzt rein und dennoch wagt sie es nicht. Sie geht wenige Schritte zur Seite und atmet tief. Sie zittert sich zurück zur Tür und malt sich aus, was gleich geschehen könnte. Sie gähnt wie eine Löwin und möchte in einem Mauseloch schlafen.
'Claaara!', schallt es urplötzlich durch die Straße. Gleich darauf wird fragend geflüstert: „Clarakind, warum stehst du da unten und kommst nicht hoch zu uns?“
Mama und Papa winken und wedeln, sie scheinen aus dem Fenster springen zu wollen und besinnen sich, rasen zum Flur und wecken mit ihrem Spektakeln die Nachbarn auf. Beide schreien und schimpfen und lachen und weinen und schaffen es irgendwie doch, ihre Tochter in die Wohnung zu bugsieren.
'Wo warst du denn?', zetern sie - froh und erleichtert, erregt und noch immer wütend, „du kannst doch nicht einfach verschwinden … und uns solche Ängste einjagen. … Clara, das darfst du nicht tun …“
Viel später in ihrem Bett, vor dem Einschlafen oder vor dem morgendlichen Aufstehen ohne geschlafen zu haben, kann Clara weiterhin nicht begreifen, wieso die Begegnung mit Tempa und deren Schwestern viele Stunden gedauert haben soll. Unmöglich, möchte sie beschließen, und weiß doch, sie galt für Stunden als unauffindbar, als verschollen. Clara konnte die Befreiung der Eltern von einer schweren Last spüren, konnte deren Glück begreifen, endlich die Tochter wieder in die Arme schließen zu können. Der sich nur langsam zerstreuende Zorn ihrer Eltern war das Maß für deren stundenlange Ängste. ‚War ich zu Gast in einem Märchen, das jede Minute wie eine Stunde gezählt hat?‘, fragt sich Clara und verneint: ‚Ich habe Tempa und die Zeitschwestern wirklich getroffen, daran möchte ich nicht zweifeln, keine Sekunde lang.‘
Mitten in der schwarzen Nacht stolpert Clara in die Küche, um ein paar Schluck Milch zu trinken – einen Blick auf ihren Wecker hat sie vermieden, sie möchte nicht schon wieder eine Überraschung mit der Zeit erleben. Vor dem Kühlschrank taumelt sie gegen ihren Vater, zu spät für eine Umkehr. Und Klaus Knobloch fühlt sich beobachtet von seiner Tochter: Mehrfach bereits hatte er versprochen, sein nächtliches Naschen einzustellen.
'Papa', murmelt Clara verwundert.
'Töch-ter-chen', stammelt der Vater überrascht. Beide fühlen sich voneinander ertappt, genießen aber überaus schnell diese ungewöhnliche Begegnung am weißen Schrank mit den vielen Verlockungen.
'Papa', nach einer Kleinigkeit Milch hat Clara etwas Sicherheit gewonnen, „Papa, bitte, du musst mir glauben. Ich habe wirklich die Zeit getroffen, Tempa heißt sie und hat viele Schwestern. Die alle stehen uns bei, damit wir das Leben sicher bewältigen können … oder soll ich ‚handhaben‘ sagen oder wäre vielleicht ‚lieben‘ das rechte Wort? Ach Papa, warum vertraust du mir nicht?“