Seriöser Verlag
Manuela Kinzel Verlag


                Manuela Kinzel Verlag

Informationen zu allen
aktuellen Büchern

Letzte Pressemeldung:  
seriöser Verlag   NWZ 23.2.24
Letzte Pressemeldung:  
seriöser Verlag   Schwarzwälder Bote 4.3.24
Letzte Meinung zum Buch:   
seriöser Verlag   Im Zeichen des Fisches


Suche:

Neuerscheinungen

Alle Bücher anzeigen

als E-Book erhältlich

Belletristik

Bildband

Biographie

Christliche Literatur

Erfahrungsberichte

Geschichte

Gesundheit

Kinder / Jugendgeschichten

Lyrik

Musik

Mundarten

Region Dessau

Region Göppingen / Hohenstaufen

außergewöhnliche Reiseberichte

Sachbücher

Theater

Tiergeschichten

Weihnachten

Sonderangebote

Vergriffene Bücher

Zurück zum Buch

Leseprobe für das Buch Ein andrer Wind um Heckenrosen und Schlehdorn von Hildegard Brucker:

Es geschah im siebten Monat des Kriegsjahres 1944

Das Sirenengeheul, das den Fliegeralarm ankündigte, war kaum verhallt, als schon die ersten Bomben fielen. Curt saß am Steuer seines Dienstwagens, neben ihm ein ranghoher Offizier:
'Sie fahren mich zum Hauptquartier, Homberg. Verstanden? Dalli, dalli, auch wenn es Bomben regnet!' Curt schaute kurz zur Seite, die Frage im Blick: Merkt dieses Rindvieh nicht, dass ich bereits das Letzte aus dem Kasten heraushole? Er gab keine Antwort. Hoch konzentriert raste der Wagen durch Stuttgarts Straßen und hielt mit schreienden Reifen vor einem massigen, quadratischen Gebäude. Der Offizier hatte schon die Autotür aufgerissen und stürzte, ohne sich umzusehen, in das Gebäude hinein. Curt wendete den Wagen, nur den einen Gedanken im Kopf, so schnell wie möglich zum Bunker zu kommen. Über die Stadt zog ein Geschwader feindlicher Flieger, das seine Bombenlast abwarf. Es krachte und splitterte. Mauerteile stürzten auf die Fahrbahn. Curt gelang es mit Mühe, an den Hindernissen vorbeizukommen.
'Verdammt, verdammt! So knapp war es noch nie!' Das dumpfe Dröhnen am Himmel ließ auf einen massigen Verband schließen. Noch eine Häuserzeile bis zum Bunker. Ich muss es schaffen, hämmerte sich Curt ein. Seine Kehle war trocken, die Hände schweißnass. Da tat sich vor ihm ein riesiger Bombenkrater auf. Es sah danach aus, als wäre Curt mit seinem Wagen von detonierenden Sprengkörpern eingekreist. Abrupt ließ er sein Auto mitten auf der Straße vor dem Krater stehen und rannte an den Häusern entlang. Noch wenige Meter, dann würde er den Bunker erreicht haben. Aber im selben Moment, als er das Ziel schon vor Augen sah, stieß er hart mit einer Frau zusammen, die aus einem Haus rannte. Alles ging in Sekundenschnelle. Die Frau riss schreckensweit die Augen auf, packte Curt an seiner Uniformjacke und zog ihn mit sich in den Hauseingang zurück, aus dem sie eben aufgetaucht war. Fast im selben Moment erschütterte eine gewaltige Detonation die Erde. Die beiden Menschen wurden durch herausfliegende Türen bis zu einem rückwärtigen Raum geschleudert, in dem sie benommen auf dem Betonboden liegen blieben. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Leibe. Die Frau schrie hysterisch. Sie klammerte sich an den Mann, der, die Frau fest umschlingend, ebenfalls um sein Leben zitterte. Die Erde unter ihnen bebte. Kalk und Staub rieselte von den Wänden. In der dicken, stickigheißen Luft rangen beide nach Atem. Die Frau weinte hemmungslos, vom Schock geschüttelt, und presste sich immer fester und angstvoller an den Mann. Lange lagen sie so, das Inferno in den Ohren. Endlich ließen die Einschläge nach. Das Schlimmste schien überstanden zu sein. Durch die zerborstenen kleinen Fensterluken, die sich zweidrittel über dem Fußboden befanden, strömte heiße Luft herein. Die unmittelbar erlebte Todesangst, noch in allen Fasern haftend, entlud sich in einem Ausweinen und dem panischen Akt des noch dichter zueinander Flüchtens. Langsam nur beruhigte sich die Frau. Das Zittern, das ihren Körper schüttelte, ließ endlich nach. Dann lagen die beiden erschöpften Menschen wie tot auf der blanken Erde. Totale Finsternis umgab sie. Unheimliches Schweigen jetzt. Irgendwann öffnete Curt verstört die Augen. Er hatte kein Zeitgefühl mehr, als er aus seiner Betäubung erwachte. Fahler, orangegelber Lichtschein zuckte hinter der hohlen Kippfensteröffnung. War es möglich, dass er in dieser unerträglichen Luft kurz in einen Schlaf verfallen war? Während seine Augen durch den düsteren Souterrain wanderten, versuchte er, sich behutsam aus der Anklammerung der Frau zu lösen, deren Gesicht er erst jetzt schemenhaft erkennen konnte. Er glaubte, dass sie noch sehr jung sein müsse. Die Kleider hingen ihr in Fetzen vom Leib. Haare und Haut waren von Staub bedeckt. Sich seine eigenen staubig verklebten Haare aus der Stirn streichend, setzte er sich auf, versuchte, auf die Beine zu kommen. Die Frau regte sich, schlug mit einer fahrigen Bewegung die Augen auf. Dann schaute sie verstört um sich. Curt fragte:
'Bist du verletzt?', worauf sie kaum wahrnehmbar den Kopf schüttelte.
'Wie heißt du?'
'Lara.'
Nach einer längeren Pause fragte sie zurück:
'Und Sie, wie heißen Sie?'
'Curt.'
Lara schüttelte den Zementstaub aus ihrem Haar, stand sehr langsam auf und bemerkte, dass der Türeingang verschüttet war. Sie drehte sich zu Curt um, blickte ihn fragend an. Er sagte, dass hier nichts mehr wäre; der vordere Teil des Gebäudes müsse eingestürzt sein. Fröstelnd fuhr die Frau zusammen, obgleich es immer noch stickig heiß war. Sie starrte auf den Schuttberg, der, meterhoch in den Raum gequollen, einen beängstigenden Anblick bot. Curt stellte sich neben Lara, sagte:
'Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dich läge ich unter diesem Schuttberg begraben.'
'Sie mir auch', erwiderte die Frau. 'Allein wäre ich vor Angst gestorben.'
'Sag’ Curt zu mir - nach so einer Nacht',- bot er an.
'Mein Hals ist wie ausgetrocknet - Curt.' Ihre Stimme klang rau und belegt. Er sagte: 'Wir müssen hier herauskommen. Ich vermute, du kennst dich aus in diesem Haus.'
Sie nickte: 'Rechts nebenan, ein Stockwerk über Parterre, müsste meine Wohnung sein - falls sie noch steht.'
'Stell’ dich auf meine Schultern, Lara, und versuche, durch die Luke zu klettern.'
Sie stellte sich nicht ungeschickt an. Kaum hatte sie sich durch das Kellerfenster gezwängt, reichte sie Curt einen angesengten Balken hinunter, mit dessen Hilfe auch er den Ausstieg schaffte. Dann standen sie im Hinterhof des ehemaligen Häuserkomplexes. Lara schlug beide Hände vors Gesicht:

'Oh Gott, es sieht aus, als läge unsere ganze Stadt in Schutt und Asche.'
Curt war fassungslos.

...

Hannes schaffte von früh bis spät. Auch sein Bruder war im Krieg gefallen. Jetzt kam die Zeit des Pflügens und Säens. Zu Anfang hatte Johannes dann und wann gedacht, das Vaterland bräuchte auch ihn. Wie schlechtes Gewissen schlichen ihm die Gedanken durch den Kopf. War er ein Drückeberger? Aber nein. Das Volk brauchte zu essen und erst recht die Soldaten im Feld. Ein paar Bauern mussten schon bei der Scholle bleiben und dafür sorgen, dass etwas wachse. Der steinige Boden auf der Schwäbischen Alb warf nicht viel ab. Die Pflugschar kreischte, wenn sie über größere Steinbrocken gezogen wurde.

Hannes bückte und bückte sich immer wieder. Mit Schwung schleuderte er die Kalksteine, die er auflas, auf einen Haufen, den sogenannten 'Steinriegel' am Ackerrand. 'Die Frauen müssten die Steine abklauben', sagte er vor sich hin. Doch Frauen, sapperment, die fehlten auf seinem Hof. 'Weiß der Kuckuck, warum mir keine zum Heiraten recht ist. Beim Tanz auf der Kirchweih, ja, da sind sie ganz schmuck, die Mädle. Keiner kann sagen, dass ich mich net rantraue. Auch im Kunkelhaus am Abend, bei den Spinnrädern, beim Schnurren treiben und ein bisschen poussieren, ja, da sag’ ich net nein. Aber heiraten? Potzblitz und noch einmal. Meine Mutter will ja auf Teufel komm raus die Löwenwirts-Regina auf dem Hof haben. Dauernd liegt sie mir in den Ohren, ich soll ihr endlich einen Antrag machen. Aber ich mag net ...'
Wenn Johannes solcherart Selbstgespräche in Gedanken beim Pflügen überkamen, ärgerte er sich jedes Mal über sich selber. Im Grunde sah er ja ein, dass die Wirtschaft so nicht weitergehen konnte - und das Alter hätte er auch. Trotzdem - eine Frau, s e i n e Frau, ja, die sollte schon die Richtige sein. Um die zu finden wollte er sich Zeit lassen.

'So, das ist jetzt die letzte Furche.' Schweiß stand dem jungen Bauern auf der Stirn. Noch bis zum Schlehenhag wollte er den Pflug führen, dann wär’s Feierabend. 'Die Luft ist würzig', stellte er fest, 'und frisch das Frühlingslüftchen. Hach, kein Schnee ist’s mehr, was da so wirbelt und treibt.' Weiße Blütenblättchen vom Schlehenhag verfingen sich in der Mähne des Pferdes und blieben auch an der wollenen Joppe des Burschen hängen. 'Frühjahr!' Fast lachte Hannes auf, so freute es ihn, dass das Wachsen und Blühen wieder anfing. Der Schlehenhag zog sich bis zur Straße vor. Er war über und über mit zartweißen Blütenwolken bedeckt. Über dem Graben auf der anderen Seite zerrte und riss etwas an der Hecke. Hannes tat einen Pfiff, trat herzu und schob mit dem Ärmel den Busch etwas zur Seite. Ein Mädchen stand da mit blutendem Finger. Sie hatte gerade versucht, einen Blütenzweig abzureißen. 'Au', sagte sie, als die spitzen Dornen in ihre Hand stachen - und, wie sie über sich hinter dem Busch das Gesicht des Johannes auftauchen sah, kam ein erstaunt verlegenes 'oh-jeh!' hinterher.
'Annele, du?', fragte Johannes erstaunt. 'Du bist’s?' - Warum, zum Kuckuck, wusste er plötzlich sonst nichts mehr zu sagen? Er hätte doch fragen können, was sie hier mache, - aber das sah er ja schließlich. Und er sah auch, wie die weißen Blütenblättchen ihr im braunen Haar und an der Wimper hingen. Ja, im Winter auf dem Schlitten, da hatten die Wimpern Eiskörnchen angesetzt gehabt - und jetzt waren’s Blütenblättchen. Und wie sie gewachsen war, das Mädele. Komisch, dass ihm nichts zu sagen einfiel, ihm, dem Johannes! Aber da half Anna ihm unbewusst aus der Verlegenheit:
'Die sind so zäh', sagte sie, ließ von dem Zweig ab und steckte den schmerzenden, blutenden Finger in den Mund.
'Komm’, ich schneid’ dir einen Strauß mit dem Messer.' Hannes hatte die Sprache wiedergefunden.
'Kein’ Strauß, nur einen Zweig an’s Bild vom Jörg', bat Anna.
'Brrr!' Hannes riss am Zügel. Der Braune wollte heim. Es passte nicht in seinen gewohnten Ablauf, bei der letzten Ackerfurche untätig herumstehen zu müssen. 'Brrr, Brauner, sei stad.'
'Da hast den Zweig. Ich mach’ dir auch gleich die Dornen weg, hast dich ja schon blutig g’rissen', sagte Hannes.
'Ach, das macht nichts.' Anna lachte ein wenig und meinte:
'Du schneidest ja den reinsten Busch ab, Hannes', als er ihr ein langes, vielverzweigtes Blütenreisig hinhielt.
'Wenn’d möchtest, ich schneid’ dir den ganzen Hag', sprudelte er laut und froh heraus, um sich sofort heimlich auf die Zunge zu beißen weil er meinte, etwas sehr Dummes gesagt zu haben. Sie hörte auf zu lachen, sah ihn fragend an und errötete. Anna merkte es, wie die Blutfarbe ihren Hals heraufstrich bis unter den Haaransatz.
'Dank dir schön, Hannes!', rief sie, schon halb umgewandt, und hüpfte mit einem langen Satz über den Graben. Dann lief das Mädchen in Sprüngen dem Weiler zu.
'S’ ist doch noch ein Kind, das Annele, ein scheues', murmelte er und sah ihr nach. 'Wie ein Pferdle, ein wildes braunes Pferdle, springt sie übers Feld.' Und plötzlich wusste er: Die werde ich heiraten, die und keine andere.